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Aktivitas

Seit 1987 existiert keine Aktivitas mehr, der letzte Helvetianer beendete sein Studium 1989 !!
Die Gründungsjahre der Aktivitas HELVETIA zu Reutlingen
Heinz Bachmann v/o Sioux (1963-66)

1855 nahm die Webschule in Reutlingen ihren Schulbetrieb auf .Zu dieser Zeit tobte der Krimkrieg bereits seit einem Jahr und in Deutschland war die erste grosse lndustrialisierungswelle auf ihrem Höhepunkt angelangt. Drei Jahre später, nämIich 1858, wurde der Schweizer-Unterstützungsverein HELVETIA Reutlingen gegründet. Dieser entstand durch Schweizer Auswanderer, die sich in Reutlingen und Umgebung niedergelassen hatten.
Die jungen Schweizer Studenten waren denn auch willkommene Gäste in diesem Verein. Höhepunkt
des Vereinslebens war die jährliche Stiftungsfeier.

Gründung der Aktivitas
42 Jahre nach der Gründung der Schule, am 27 . Januar 1897, wurde die Aktivitas aus der Taufe gehoben.
11 junge Schweizer, zwei Deutsche und ein Österreicher standen Pate.
Gründungspräsident war Christoph lselin v/o Chasper aus Glarus.

Aktuelles aus der Zeitgeschichte um 1897
Blättert man in der Zeitgeschichte zurück, was 1897 geschah, so fallen einige Schwerpunkte auf:

- Deutschland steigt zur stärksten europäischen lndustrienation auf. Aussenhandel und Handelsflotte
(Hamburg-Amerika-Linie) konkurrieren mit England. Schwer-, Elektro- und Chemie-lndustrie konzentrieren
sich in Konzernen:  Krupp, Stumm, Stinnes, Siemens, AEG und lG-Farben.
Die Überzeugung wächst, dass lndustrie, Handel und Versorgung der Bevölkerung imperiale Politik verlangen! 
Die "Pionierzeit" des Automobils hat seinen Anfang gefunden. 1897/98 wurden gerade mal 844 Automobile in Deutschland hergestellt.

- ln der Schweiz florierte die Textilindustrie. Die Spinnerei erreichte ihren absoluten Höchststand mit
1,814 Mio. Spindeln.

- ln der Neuen Zürcher Zeitung vom Mittwoch,2T . Januar 1897 Morgenblatt, ist unter der Rubrik "Waren und Produktemarkt» folgendes zu lesen:  
Rotterdam (Original Bericht) Baumwolle
Die neuerliche Abnahme der amerikanischen Erntebewegung hatte wenig Einfluss, da nun wieder die Berichte über den Geschäftsgang der englischen lndustrie ungünstig lauteten:  die europäische Spinnerei kauft mässig weiter, das Meinungsgeschäft vermag sich aber noch immer nicht zu entwickeln. Firma Nell hielt ihre Ernteschätzung von 8,75 Mio. Ballen aufrecht. Die Preise sind kaum geändert wie folgt:
Loco Amerik middl. 22cts, Amerik.l.m. Lieferung Jan.-Febr. 21.60 cts., April-Mai 21.80 cts. und
Sept.-Dez. 22.10 cts.

- Ausland
Deutschland. Berlin, 27. Januar 1897
Am Freitag Mittag, manchmal auch schon einen Tag früher, erscheint die "Zukunft" und diesmal brachte sie die merkwürdige, jedenfalls aber für die Gegenwart gar nicht uninteressante Nachricht, dass der Hausminister,
Herr von Wedell, zu der Vermählung seiner Tochter den Grafen von Bismark geladen, ihn aber aus der Liste der Geladenen habe ausstreichen müssen, da der Kaiser, welcher der Hochzeit beiwohnen wollte und sich die Liste hatte vorlegen lassen, es so gewünscht.
Dies die Schlagzeilen vom 27. Januar 1897 der NZZ - das waren noch Probleme!
Aktivitas zwischen 1897 und 1918
Nun aber zurück zur Aktivitas. Von Anfang an wurden wöchentliche Sitzungen in Siber's Bierkeller abgehalten
mit ausführlichem Protokoll und anschliessender Kneipe, die meist gegen Mitternacht ihr Ende fand.
Danach wurde in der Regel das Kaffee Scherr oder das Café Finkh aufgesucht, wo man bis morgens 2 Uhr den Bierkonsum zu neutralisieren versuchte. Das 1 . Stiftungsfest wurde am 29. Januar 1898 und der
1. Weihnachtscommers am 18. Dezember 1898 gefeiert. lm Vereinsleben herrschten strenge Sitten, so mussten die Füxe Commentstunden besuchen, bei Nichterscheinen wurden sie mit 50 Pfenning bestraft. Ebenso musste die Corona Gesangsunterricht nehmen. Neben dem Sitzungsprotokoll wurde auch ein Gästebuch
sowie eine Bierzeitung (letzter Eintrag 1913) geführt.

Aus dem Protokoll vom 23. Oktober 1897 ist zu entnehmen:
"Zu Beginn der Sitzung wird gerügt, dass trotz der eingeführten Busse von 20 Pfenning, mehrere abermals zu spät kommen, was beinahe den Gedanken erschrecken muss, die Begeisterung für unsere HELVETIA, die im letzten Semesterso schöne Früchte getragen hat, fange an zu erschlaffen. Hoffen wir dass sich diese Vermutung nicht bestätige, denn wir haben es gerade in diesem Semester sehr nötig, treu und fest zusammen zu halten,
um äusseren Feinden in jeder Beziehung die Stirne bieten zu können."

An der Sitzung vom 11 . Juni 1898 wurde protokolliert:
"Schon längere Zeit hatte man sich mit dem Gedanken getragen, dem Verein Statuten zu geben und dieselben dem Schulvorstand vorzulegen. Man fand, dass der Verein mit den Jahren an äusserer Bedeutung derart gewachsen sei, dass er eine innere Stütze und eine allgemeine Richtschnur sehr nötig habe.
Fünf Aktive waren mit der Ausarbeitung eines Statutenentwurfes betraut worden und hatten es in manchen Sitzungen so weit gebracht, denselben in heutiger Sitzung vorlegen und zur Abstimmung bringen zu können.
Die einzelnen Artikel werden bis an kleine Änderungen genehmigt und sollen nun geordnet zusammengestellt und noch in diesem Semester dem Vorstand vorgelegt werden."

ln den ersten fünf Jahren nach der Gründung, erfreute sich die HELVETIA regen Zuwachses, waren doch
in dieser Zeitspanne um die 100 Aktive in Reutlingen.
Ein Grossteil dieser Hundertschaft stammte aus dem Glarnerland.
Namen wie: 
Konrad Jenny, Enneda / Mathias Legler, Diesbach / Jacques Streiff, Glarus / Mathias Schiesser, Diesbach /
Melchior Hefti, Glarus / Hans Dürst, Glarus / Albert Dürst, Glarus / Niklaus Zweifel, Mollis  / Fridolin Schuler, Glarus / 
Rudolf BIumer, Schwanden / Hans Hefti, Luchsingen / Daniel Jenny, Ennenda / Fritz Blumer, Engi / 
Jacques Jenny, Luchsingen / Fritz Streiff, Glarus
kamen vor, um nur elnige zu nennen. Bereits in den Anfangsjahren wurde ein intensiver Kontakt mit Schweizer
Studenten in Tübingen und mit der Textilia zu Reutlingen gepflegt.

Aus dem Protokoll geht hervor, dass am 28. Oktober 1899 Ernst Lauterburg v/o Mutz, Grossvater von Niklaus Lauterburg v/o Fit der Aktivitas beigetreten ist. Ebenso Max Lauterburg v/o Jazz, Vater von Fit, war Aktiv-Mitglied vom WS 1934 bis SS 1935.

Kaiser-Kneipe
Am 27. JanuarI 904 fand ein von den Webschülern veranstalteter Kaisercommers statt, der sehr gut ablief.
"Die HELVETIA hatte 11 Mann Vertretung gesandt und wurde nach kurzer Ansprache unseres L. Praeses Fritz Streiff v/o Fass'l zu Ehren seine Majestät des Deutschen Kaisers ein urkräftiger Salamander gerieben."

1. Weltkrieg (1914-1918)
Das letzte Protokoll wurde am 1. Februar 1908 verfasst und erst am 13. Mai 1922 zur Gründung der Jung-HELVETIA wieder aufgenommen. Erstaunlicherweise war die HELVETIA auch im 1. Weltkrieg an Potenz nicht
stark geschwächt, waren doch in dieser Zeit 56 Aktive in Reutlingen. Nach dem Krieg von 1919 bis 1921,
sind die Aktivitäten der HELVETIA offensichtlich eingeschlafen (Nachkriegswehen) und erst wieder im Wintersemester 1922/23 mit der Jung-HELVETIA erwacht.

Mit diesen Zeilen aus der Bierzeitung vom WS 1907/O8 möchte ich diesen Bericht über die Gründungsjahre der HELVETIA abschliessen: 

O Reutlingen, o Reutlingen
wie schön ist doch dein Technikum.
Da kann man sehen zu jeder Zeit
Studenten viel von weit und breit
O Reutlingen, o Reutlingen
wie schön ist doch dein Technikum.

O Technikum, o Technikum
Schick ist dein Auditorium
Dieweil Vereine müssen sein
Tat es zusammen sich zu drein
O Technikum, o Technikum
Schick ist dein Auditorium.

O Du Verein, o Du Verein
Dein Name muss HELVETIA sein
Denn nur wer solche Füxe hat
Darf zählen sich zum Schweizer Staat
O Du Verein, o Du Verein
Dein Name muss HELVETIA sein.

O Fuxenstall, o Fuxenstall
du herrschest stets lm Bierweltall
denn Du enthältst der Füxe noch
die saufen können wie ein Loch
O Fuxenstall, o Fuxenstall
Du herrschest stets lm Bierweltall.

O Brandfux her; o Brandfux her
Dir gleichet nichts auf Erden mehr
Wer sonst "aufs Mal" ist wohl im Stand
zu Kotzen voll Bett, Hemd und Wand
O Brandfux her, o Brandfux her
Dir gleichet nichts auf Erden mehr.

Zum ruhmreichen Gedächtnis an meine Antrittskneipe
Heinrich Baese v/o Kuss WS 1907/O8


 
Schweizer Studenten  am Technikum 
Teil aus dem Bericht von Christian Kuoni v/o Zingge (1971-75) 
1980-2008
Die Schweizer Studenten in Reutlingen sind ein wichtiger Teil der GESCHICHTE der Reutlinger Ausbildungsstätten der Textilindustrie - es gibt heute keine (kaum mehr) Schweizer Studenten in Reuflingen. lch weiss sehr wohl,
dass in dieser Jubiläumsschrift an anderer Stelle vom Tübinger Tor und vom Ende der Aktivitas ausführlich berichtet wird, erlaube mir trotzdem hier kurz wiederzugeben, was es für mich bedeutete:
- lch durfte als Aktiver X das 75. Jubiläum der Aktivitas begehen mit einem Konzert gesponsert von unserem
AH Rolf Habisreutinger v/o Darling und seinem Trio "stradivarius», eine der Hoch-Zeiten der Aktivitas der schweizer ganz allgemein in Reutlingen. Das war 1972. lch habe zu dieser Zeit auf dem
Tübinger Tor gewohnt - es war herrlich. Nur 9 Jahre später - inzwischen AH-Präsident - musste ich an einer ausserordentlichen Generalversammlung im Bahnhofbuffet des Hauptbahnhofes Zürich den Anwesenden
AHAH die Rückgabe des Tübinger Tors an die Stadt Reutlingen beantragen. Von der Hochblüte bis zum "Tod» knapp 10 Jahre. 
ln den Jahren 1984-1986 kam es zu einem kurzen "Revival» der Schweizer in Reutlingen. Entscheidend für den Rückgang an "Reutlingern" in der schweizerischen Textil- und Textilmaschinenindustrie sind zum einen die Zulassungsbeschränkungen (Abitur/Fachabitur waren notwendig, 9 Schweizer Schuljahre und Lehrabschluss reichten nicht aus, Vorkurse (Fachabitur) wurden nicht mehr angeboten), zum anderen die Einführung der Berufsmatura in der Schweiz und damit Zugang zu den Fachhochschulen. So studieren heute nur noch vereinzelt
Schweizer - in den verschiedenen Fachbereichen - in Reutlingen.
Das lmage der Schweizer Studierenden in Reutlingen
Es ist sicherlich nicht falscher Stolz oder unschweizerische Bescheidenheit:
"Die Schweizer sind uns sehr lieb und überzeugen immer wieder mit ausserordentlichen Leistungen",
so Prof. Dr. Paul Senner anlässlich einer Rede in der Kneipe auf dem Tübinger Tor.
Paul Senner war Rektor von 1973 bis 1977.

Senner war beileibe nicht der einzige Dozen/Profax der häufig auf dem Tübinger Tor an Kneipen teilnahm -
eine Kneipe auf dem Tübinger Tor ohne einen Vertreter des Lehrkörpers war eher selten. "Was ich an den Schweizern so schätze:  die saufen den ganzen Abend und feiern eine tolle Kneipe, am anderen Tag sind sie
aber in der 1. Vorlesung dabei." Prof. Dr. Scholze.

Die Bedeutung der HELVETIA bzw. der Schweizer entnimmt man auch der "Festschrift" zum 150-jährigen
Jubiläum der Webschule von Prof. Dr. Eugen Wendler, welcher gegenüber den Schweizern gut gesinnt war.
Hier einige Passagen daraus:
"... Die HELVETIA war die einzige Ausländerverbindung am Technikum bzw. der Fachhochschule. Sie wurde von den jüngeren Mitgliedern des "Schweizer Verein Reutlingen» am 27. Januar 1897 gegründet, damit die jungen eidgenössischen Studiker "fernab von der Heimat" gemeinsames Brauchtum pflegen und eine geistige lnteressengemeinschaft bilden konnten. Diesem Ziel entspricht auch der Wahlspruch: "Einer für alle, alle für einen". Der Komment verlangt strenge "Zucht und Ordnung". Er enthält neben einem allgemeinen
Teil auch einen Bier-Komment, dessen "Zweck und Absicht es ist, sämtlichen strebsamen Bierseelen eine
sittlich geregelte Grundlage beim Trinken zu geben, um die Gemütlichkeit an der Kneiptafel zu heben."

"... Ende der 70er Jahre gingen die Mitgliederzahlen der Aktivitas rapide zurück. Deshalb musste aus
finanziellen und zukunftsorientierten Gründen das Tübinger Tor 1981 wieder aufgegeben werden.
Danach gab es zwar noch für kurze Zeit eine kleine Aktivitas. Heute existiert nur noch der Altherrenverband,
allerdings immer noch mit einer starken traditionellen Bindung seiner Mitglieder."
 
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